Grünliche Laterne – das Urteil

Für das Risiko, dass einer dieser Herren erneut eines der schlimmsten denkbaren Verbrechen begehen würde, war meine Seele nicht groß genug, und so veranlasste ich den Ring, sie zu konditionieren und zu traumatisieren: allein ein Gedanke an ein Kind würde fortan zu Schweißausbrüchen und Angstzuständen führen. Die bewaffneten Wächter erhielten von mir eine ähnliche Prägung in Bezug auf Waffen aller Art. Wie gerne hätte ich die seelischen Wunden der Kinder ebenso behandelt – aber hier versagte der Ring.

Zunächst tauschte ich die grünen virtuellen Ketten gegen Handschellen aus, die ich in einer der Waffenkammern gefunden hatte. Dann stellte ich das Beweismaterial sicher, indem ich die Mobiltelefone der Verbrecher und die Computer des Anwesens scannte, bevor ich die Polizei zu rufen gedachte.

Der Ring hatte nicht nur einen (extrem schnellen) Internetzugang, sondern konnte sich in sämtliche Mobilfunknetze dieser Erde einwählen – praktisch. Es war seine Art – die nicht nur überflüssig war, sondern einen Hang zum Albernen hatte – reale Gegenstände zu simulieren, um seine Ziele zu erreichen: neben meinem Ohr materialisierte ein grünes Smartphone. Immerhin musste ich die Nummer nicht googeln, sondern wurde direkt mit den örtlichen Sicherheitskräften verbunden. Mein Schmutzstück diente dabei als Universalübersetzer, der sich direkt in mein Gehirn einklinkte: ich formulierte auf Deutsch und hörte mich fremde Worte sagen, die ich nicht verstand. Ich konnte auch nicht einschätzen, wie überzeugend ich wirkte – ich hatte natürlich gelogen und erklärt, ich selbst hätte die Bande vermöbelt -, aber schließlich erklärte der nicht sonderlich nette Polizist am anderen Ende der Leitung:
„Wir sind in 15 Minuten bei Ihnen. Nichts anfassen.“

Nach einer knappen Stunde kamen zehn Mann aus Pattaya, die mein Kostüm erstaunt ansahen, es dann aber als westlichen Spleen abtaten und sich schnell daran gewöhnten. Ich schilderte die Umstände, erzählte wie die Männer die Kinder missbraucht hatten, wie schrecklich das sei – der Hauptmann nickte eher wenig überzeugt – und dass diese Menschen den Behörden überstellt werden müssten, um dann in ihre jeweiligen Länder ausgeliefert und dort bestraft zu werden. Die Kinder aber sollten identifiziert werden: jene, die Entführungsopfer waren, müssten zu ihren Eltern zurückkehren, die Waisen unter ihnen oder die von ihren Familien verkauften sollten in ein Heim kommen, bei dessen Ausstattung ich unterstützend eingreifen würde.

„Und Sie allein haben das geschafft?“ fragte Hauptmann Phatipatanawong (ich konnte das Schild an seinem Hemd lesen). Woraufhin meine Stimme auf Thai antwortete:
„Ich bin sehr gut mit meinen Fäusten.“
Der Hauptmann nickte, aber der Fokus des Nickens lag einen Meter hin mir, und als ich mich umdrehte, starrte ich in die Mündung einer .38er Smith & Wesson.
„Sie verderben uns das hier nicht!“ erklärte der Freund und Helfer. Nun ja: von Korruption hatte ich schon gehört.

Ich befahl dem Ring, alle Polizisten gleichzeitig niederzustrecken, und zwar so schnell, dass sie keine Grün mehr vor ihrer Ohnmacht wahrnehmen konnten. Dann fesselte ich sie und packte sie auf den Päderastenhaufen.

Was nun?

22 schwer traumatisierte Kinder schliefen einen grünen Schlaf. 15 Verbrecher – Organisatoren und Konsumenten – und 10 Polizisten ebenfalls. Ich war der einzige der wach war. Auf meine Frage, wie stabil jene generierten grünen Gegenstände seien, antwortete der Ring knapp „sehr“. Ob er auch andere Farben generieren könne, fragte ich, was er verneinte – er könne aber Umgebungsmaterialien verwenden (nur mit gelben Gegenständen habe er Schwierigkeiten, die sich aber leicht umgehen ließen durch Sonnenlichtfilter, die er vor diesen materialisieren könnte und die ihnen eine andere Farbe gäben).

In der Nähe gab es – das zeigte mir die Maps-App des Rings – ein kleines buddhistisches Kloster mit ca. 30 Mönchen. Ich erklärte ihnen die Lage, und auch wenn sie lieber ihre Ruhe haben wollten – Mitgefühl hin oder her -, stellten sie mir immerhin ein brachliegendes Nachbargrundstück zur Verfügung. Auf diesem errichtete der Ring einige hübsch eingerichtete, ökologisch nachhaltige Gebäude mit 50 Zimmern, Pool auf dem Dach und Gemeinschaftsräumen.

Das Personal war ein Problem. Der Ring erschuf 35 grünlich schimmernde, halb transparente, liebevoll lächelnde Thai-Krankenschwestern, die sich sofort an die Arbeit machten, die Räumlichkeiten für die Ankunft der Kinder vorzubereiten. Außerdem erzeugten wir fünf Traumatherapeutinnen und zwei Ärztinnen, ebenfalls grün, sowie eine zehnköpfige Wachfrauschaft mit Maschinenpistolen.

Drei der Mönche erklärten sich bereit, in Pattaya Kleidung zu kaufen (ich erzeugte einen Stapel Dollar und Baht). Einem anderen trug ich auf, eimerweise hautfarbenes Makeup zu erwerben. Die grundsätzliche Farbgebung des Personals konnte ich nicht ändern, aber sie konnten sich kleiden und versuchen, ihr smaragdenes Äußeres so gut es ging zu überdecken. Auf die nächste Einkaufsliste kamen farbige Kontaktlinsen und schwarzes Haarfärbemittel.

Als alles beisammen war, wies ich das Team an, sich so gut es ging als Menschen zu verkleiden. Heraus kam eine Mischung aus Zombies und Gespenstern, die irgendwie auch an Prostituierte erinnerte. Das würde genügen müssen.

Grünliche Laterne – der Ring

Soundtrack: 

Wissen floss in mich wie ein mächtiger Strom, ohne Grenzen, ohne Limit, ohne Textur. Ich lernte, dass der tote Außerirdische Rho-Mag-Ton-Bur hieß und dass er einem Corps von Superhelden angehörte, die angeleitet von mächtigen alten Wächtern – alle männlich – das Universum im Zaum hielten. Ihre Geschichten sind in Literatur und Kunst vieler Zivilisationen zu finden, meist stark verflacht und verfälscht (auf der Erde in Comics mit muskulösen Männern, sexy Frauen und unwahrscheinlichen Außerirdischen, die fast immer gewinnen). Der Ring erzählte mir, was die Welt wirklich im innersten zusammenhielt – und es war ganz anders als ich erwartet hatte (vielleicht schreibe ich es an anderer Stelle mal auf – es ist wirklich viel einfacher als wir alle dachten, aber ähnlich schwierig zu „sehen“ wie die Luft die uns umgibt).

Meine Kleidung hatte sich inzwischen verändert. Ich trug eine Art eng anliegenden Pyjama, der meine Figur allerdings unvorteilhaft erscheinen ließ. Mein Bauch hing über den Gürtel, und der enge Kragen schob mein Doppelkinn nach oben. Ich bat den Ring, das zu korrigieren, was er fettverbrennenderweise auch tat. Außerdem legte sich eine dunkelgrüne Maske um meine Augen herum, mit der man mich gewiss nicht erkennen würde, auch meine engsten Freunde nicht.

Dann erklärte er mir meine zukünftige Aufgabe (ohne zu fragen, ob ich mit dieser fundamentale Änderung meiner bisherigen Prinzipien einverstanden sei)…

Nachdem ich den Ring in so einer Vintage-Batterie aufgeladen hatte, wofür ich einen eher weniger poetischen Reim aufsagen musste, startete ich zu meinem Jungfernflug. Mein Wille geschah, der Ring hüllte mich ein grünes Kraftfeld, und ich stieg Richtung West-Nord-West auf, um meine neuen Möglichkeiten auf dem Tempelhofer Feld auszuprobieren. Als erstes drehte ich einige Loopings, dann stieg ich über die Wolken (sie waren kühl und feucht und gar nicht romantisch, aber ich befahl dem Ring, eine warme Schicht um meine Kleidung zu legen und dies immer so zu machen, bei jedem Flug), schließlich probte ich einige Landungen, und letztlich startete ich einen Langstreckenflug Richtung Thailand, wo ich zwölf Minuten später ankam.

Ich mochte nicht auffallen, also landete ich in der Khao-San-Road und mischte mich unter die Alternativ-Touristen (die eine wirklich tolle Alternative zu den Pauschal-Touristen darstellen). Dort frühstückte ich erst einmal (die notwendigen Baht hat der Ring generiert, wobei er irgendwie protestierte). Weil ich mich nicht künstlich von der allgemeinen touristischen Profanität abheben wollte, bestellte ich einen Banana Pancake und einen Cappuccino. Trauben an Westlern und Japanern prozessierten die Straße entlang und kauften hier und da ein T-Shirt, Räucherstäbchen, CDs und Hühnchenspieße. Dickliche rotgebrannte ältere Deutsche in Basketballshirts und kurzen Hosen flanierten Hand in Hand mit wesentlich jüngeren Thai-Frauen die Straße entlang, die immer wieder kicherten, wenn ihre Freier auf etwas zeigten und erklärten wie sie die Welt sahen. Einige waren auch schneeweiß – ihr Bumsbomber musste vor nicht allzu langer Zeit gelandet sein. Natürlich war die Khao-San-Gegend nicht ihr natürlicher Lebensraum. Sie – und ungleich schlimmere Vertreter derselben Spezies – hatten ein anderes Jagdrevier. Der Ring flackerte, als sich nach und nach Ideen einstellten, was mein erster Job als Superheld sein könnte.

Nachdem ich mit meinem Falschgeld gezahlt hatte, bat ich den Ring, mich unauffällig nach Pattaya zu bringen. Auf dem Weg dorthin – der eigentlich nur einige Sekunden gedauert hätte, aber ich nahm mir Zeit und flog mit einer Tarnkappe, aber ohne weiteren Schutz in niedriger höhe durch die warme, feuchte Tropenluft – scannte ich sämtliche Handygespräche, die derzeit im ganzen Land geführt wurden (der Ring ist in dieser Hinsicht mächtiger als die NSA – um die, so plante ich bei dem Gedanken daran, ich mich zu gegebener Zeit kümmern würde). Und wurde sehr schnell fündig.

Ich navigierte zu einer Villa einige Kilometer nördlich von Pattaya, die Teil eines nach Geld stinkenden Anwesens war (der Ring konnte Informationen in olfaktorische Reize umsetzen und die Möglichkeiten seines Trägers, die Welt zu erleben, erheblich erweitern). Vor der Tür saßen zwei bewaffnete Galgenvögel mit offenen Hemden, Goldkettchen und Zigarette im Mund. Ich schaltete sie aus, indem ich zwei große grüne Boxhandschuhe formte und „zuschlagen“ dachte. Der eine wurde gegen eine weiter entfernt stehende Palme geschleudert, der andere rutschte einige Meter über den Boden, bevor er von einem Blumenkübel gestoppt wurde (ich würde lernen müssen, meine Kräfte zu kontrollieren). Beide aber hatten, wenn auch knapp, überlebt. Ich betrat das Haus durch die verschlossene Stahltür, die sich zu meinem Kraftfeld verhielt wie Staniol zu einer Bowlingkugel.

Zwei weitere Männer – diesmal mit Maschinenpistolen – erschienen, die ich ausschaltete, indem ich einen kurzen Herzstillstand hervorrief. Aus einem der weiter hinten gelegenen Räume hörte ich eine laute Stimme und ein verzweifeltes junges Schreien. Zunächst wollte ich rennen, entschied mich dann aber für einen kurzen Flug. Ich riss die Tür aus der Verankerung und stand einem erschreckt dreinblickenden reichen Rentner gegenüber, der – mit Ausnahme natürlich seiner Socken – unbekleidet war. Hinter ihm auf einem Bett lag ein vielleicht 8-jähriges gefesseltes Mädchen, das apathisch an die Decke starrte. Ein schneller Scan mit dem Ring ließ mich wissen, dass sie bis auf oberflächliche Blessuren körperlich unversehrt und auch nicht sediert war: in ihre Seele aber konnte mein neues Werkzeug noch nicht blicken. Der alte Mann hielt eine Petische in den Händen und überraschte mich mit einem erstaunlich schnellen Angriff. Ich war unkonzentriert, und so erwischte er mich am Hals. Eine Sekunde später hatte ich ihn niedergestreckt und mit transparenten grünen Seilen gefesselt: diese zog ich so eng, dass er beim Aufwachen Schmerzen haben würde, und fragte mich gleich, was meine Rolle hier war: ob ich auch Richter wäre oder nur Polizist. Das Mädchen befreite ich. Es schrie noch immer, und so betäubte ich es behutsam.

In gleicher Manier durchkämmte ich das ganze Anwesen, betäubte einen Pädophilen nach dem andern und stapelte sie im größten Raum der Villa auf einen Haufen. Die Mädchen – und einige Jungen – legte ich schlafend in ein großes, weiches grünes Bett. Soweit so gut – doch was nun? Die Polizei rufen? Die Deutsche Botschaft? Die Presse?

Ich entschied mich, die Gewalttäter zunächst zu „behandeln“.

Ich werde Grünliche Laterne

Zitternd sitze ich nun hinter meinem Bildschirm und tippe die Ereignisse des Tages herunter, die sich nicht so recht in Form und Substanz meines bisherigen Lebens – das, so muss man nach Lektüre dieses Blogs doch zugeben, durchaus eigenartig verlaufen ist – einfügen wollen.

Heute morgen war alles normal: ich stand auf, erledigte die Toilette – der Stuhl fest und kompakt, wie es sein soll -, schrieb ein oder zwei Scripts beim Frühstück, um meinen News-Input zu optimieren, und verließ die Wohnung auf der Suche nach Arbeit, Liebe und Wissen, die mein Leben regieren. Ohne Ziel stromerte ich durch Kreuzberg ins tiefste Neukölln, bis ich schließlich die Silbersteinstraße erreichte: wo ich von einer seltsamen Kraft ergriffen wurde, die mich mehr schob als zog: in einen vermüllten Hinterhof hinein, typisch für diese Gegend. Überall lagen ausgeschlachtete Fahrradrahmen, Blumentöpfe mit verstorbenen Kakteen, alte Zeitungen der Springer-Mafia, und Hausmüll.

Weiter schob es mich, in den zweiten, dritten, vierten Hinterhof, die Hinterhöfe wollten gar nicht mehr enden, der Putz der Häuser verdiente seinen Namen weniger und weniger, die grauen Herren der Bauaufsicht waren seit Jahrzehnten Fremde an diesem Ort, der außerhalb der Zeit stand. Verwahrloste Katzen begutachteten mich neugierig und verschwanden in unkartografierten Kellern. Hin und wieder sah ich ein Gesicht hinter einer vergilbten Gardine auftauchen und verschwinden, vom Licht geblendet, oder voller Angst vor mir, dem Eindringling aus einer besseren Welt.

Hinter einer Milchglasscheibe sah ich eine nackte Frauengestalt duschen, immerhin, auch wenn es wenig Wasser und noch weniger Seife gab. Die Schemen deuteten einen jungen Körper an, etwas Leben in dieser Schattenwelt. Ich konnte nicht länger verweilen, denn das Schieben wurde stärker – nicht einmal die (okay, schwache, aber dennoch) Aussicht auf ein wenig gegenseitiger Liebe konnte dem widerstehen. Ich drehte mich um, aber da war nichts, außer einem feinen grünen Leuchten: eine Art Neon-Nebel drückte in meinen Rücken, geformt wie eine Hand. Weiter, sagte sie.  Und weiter ging ich, in den letzten Hinterhof hinein. Was ich da sah, machte meinen Tag.

Zuerst hielt ich die unter allerhand Schrott auf dem Boden liegende Gestalt für einen Alkoholkranken in seinem letzten Stadium, als ich sie aber näher betrachtete, erkannte ich eindeutig einen Außerirdischen, der mich zu sich winkte. Er hatte graue Haut, drei – wahrscheinlich – Augen, keine Nase, und einen schmalen Mund, aus dem die Laute Komm, komm hervorkrochen, röchelnd, sterbend. Dann zogen sich die Mundwinkel nach unten, aber irgendwie wusste ich, dass dies ein Lächeln war. Warum ich das wusste? Ein Teil der grünen Kraft hinter meinem Rücken hatte sich einen Weg in mein Gehirn gesucht und füllte mich mit interplanetaren Kommunikationsfähigkeiten. Ich konnte nicht nur seine Sprache interpretieren, sondern auch seine Mimik und Gestik deuten, die so unterschiedlich zu den menschlichen waren wie noch in keinem Science Fiction-Film dargestellt.

Irgendwann war der Prozess abgeschlossen. Dann sagte er:
„Ich sterbe.“
Ich starrte ihn an.
„Ich habe dich hergelockt, weil du ein guter Kerl bist.“
Ich starrte ihn weiter an, fand aber die Kraft mich zu bücken und dann neben ihn zu hocken. Er griff meine Hand.
„Hier“, sagte er und steckte mir einen Ring an, „nimm dies. Es ist Fluch und Geschenk zugleich.“
Noch immer konnte ich keine Worte hervorbringen.
„Dieser Ring wird dir alles weitere erklären. Tue Gutes, dann wirst du…“
Und mit diesen Worten starb das arme Wesen in meinen Armen. Ich weinte eine verwirrte Träne. Dann begrub ich ihn in einer mit Erde gefüllten Badewanne, die auch in diesem Hinterhof stand. Ich begutachtete sein kleines Raumschiff, das völlig zerstört war und, so entschied ich, in dieser Umgebung nicht weiter auffallen würde.

Dann setzte ich den Ring auf.