Die Geschichte der O.

Beide waren unabhängig voneinander mit Billigflügen in das Land gereist, beide hatten geplant für ein Wochenende, beide hatten die Hotelpreise nicht bedacht, beide hatten nur einige wenige Rubel bei sich, in Norwegen nicht einmal genug für ein Fischbrötchen, und keiner von beiden war im Besitz eines Rückflugtickets. So waren Olga und Hans durch die Straßen geirrt, hatten sich von Fischabfällen ernährt (die allerdings sehr frisch und lecker waren – in ihrer Heimat Russland war fangfrischer Fisch von schlechterer Qualität als was die Skandinavier wegwarfen, mit Ausnahme vielleicht von Kaviar), Wasser aus dem Hafenbecken getrunken, und sich einander langsam angenähert, ob verbunden durch die Bedingungen ihrer Situation oder durch echte Liebe, wer kann das sagen. Nachts wärmten sie sich unter ihrer Brücke und träumten von Fjorden und Mücken, tagsüber schlenderten sie über die Märkte und durch die Gassen und taten wie normale Touristen aus dem Westen. Da aber begab es sich, dass sie an einem Büro der Aeroflot vorbeikamen und ihnen ein Aushang „Russische Piloten gesucht für No-Frills-Ableger“ auffiel. „Wir sind zwar keine Piloten, aber Russen“, dachten sie sich, lächelten einander an (ihre Liebe war noch am Wachsen), und stellten sich vor. Die Formalien waren schnell erledigt, beiden wurde eine „Pilot in 6 Tagen“-Broschüre in die Hand gedrückt, und zwei Wochen später, nach Bestehen der Prüfung, befanden sie sich bereits in ihrem eigenen Flugzeug auf dem Weg zurück nach Wladiwostok.

Flugzeug

Olga hatte bessere Noten als Hans in dem halbstündigen Test bekommen – die eigentlich eher eine Unterhaltung war, oder ein Trinkgelage, der russische Prüfer war gerade geschieden worden von Yasmina, einer ambitionierten, aber verschlossenen Türkin, und hatte keine rechte Lust -, so wurde sie Pilotin und er nur Kopilot (ohne Aufstiegsschance, einmal Kopilot immer Kopilot, so war es bei dieser Fluggesellschaft), was, so denkt sie jetzt, vielleicht ein Fehler war, seitdem war Hans nicht mehr so offen, zog sich immer mehr zurück, vielleicht hätte sie, wie es die meisten Frauen tun, ihrem Mann das Bild seiner Überlegenheit nicht so leichtfertig nehmen sollen.