Zitternd sitze ich nun hinter meinem Bildschirm und tippe die Ereignisse des Tages herunter, die sich nicht so recht in Form und Substanz meines bisherigen Lebens – das, so muss man nach Lektüre dieses Blogs doch zugeben, durchaus eigenartig verlaufen ist – einfügen wollen.
Heute morgen war alles normal: ich stand auf, erledigte die Toilette – der Stuhl fest und kompakt, wie es sein soll -, schrieb ein oder zwei Scripts beim Frühstück, um meinen News-Input zu optimieren, und verließ die Wohnung auf der Suche nach Arbeit, Liebe und Wissen, die mein Leben regieren. Ohne Ziel stromerte ich durch Kreuzberg ins tiefste Neukölln, bis ich schließlich die Silbersteinstraße erreichte: wo ich von einer seltsamen Kraft ergriffen wurde, die mich mehr schob als zog: in einen vermüllten Hinterhof hinein, typisch für diese Gegend. Überall lagen ausgeschlachtete Fahrradrahmen, Blumentöpfe mit verstorbenen Kakteen, alte Zeitungen der Springer-Mafia, und Hausmüll.
Weiter schob es mich, in den zweiten, dritten, vierten Hinterhof, die Hinterhöfe wollten gar nicht mehr enden, der Putz der Häuser verdiente seinen Namen weniger und weniger, die grauen Herren der Bauaufsicht waren seit Jahrzehnten Fremde an diesem Ort, der außerhalb der Zeit stand. Verwahrloste Katzen begutachteten mich neugierig und verschwanden in unkartografierten Kellern. Hin und wieder sah ich ein Gesicht hinter einer vergilbten Gardine auftauchen und verschwinden, vom Licht geblendet, oder voller Angst vor mir, dem Eindringling aus einer besseren Welt.
Hinter einer Milchglasscheibe sah ich eine nackte Frauengestalt duschen, immerhin, auch wenn es wenig Wasser und noch weniger Seife gab. Die Schemen deuteten einen jungen Körper an, etwas Leben in dieser Schattenwelt. Ich konnte nicht länger verweilen, denn das Schieben wurde stärker – nicht einmal die (okay, schwache, aber dennoch) Aussicht auf ein wenig gegenseitiger Liebe konnte dem widerstehen. Ich drehte mich um, aber da war nichts, außer einem feinen grünen Leuchten: eine Art Neon-Nebel drückte in meinen Rücken, geformt wie eine Hand. Weiter, sagte sie. Und weiter ging ich, in den letzten Hinterhof hinein. Was ich da sah, machte meinen Tag.
Zuerst hielt ich die unter allerhand Schrott auf dem Boden liegende Gestalt für einen Alkoholkranken in seinem letzten Stadium, als ich sie aber näher betrachtete, erkannte ich eindeutig einen Außerirdischen, der mich zu sich winkte. Er hatte graue Haut, drei – wahrscheinlich – Augen, keine Nase, und einen schmalen Mund, aus dem die Laute Komm, komm hervorkrochen, röchelnd, sterbend. Dann zogen sich die Mundwinkel nach unten, aber irgendwie wusste ich, dass dies ein Lächeln war. Warum ich das wusste? Ein Teil der grünen Kraft hinter meinem Rücken hatte sich einen Weg in mein Gehirn gesucht und füllte mich mit interplanetaren Kommunikationsfähigkeiten. Ich konnte nicht nur seine Sprache interpretieren, sondern auch seine Mimik und Gestik deuten, die so unterschiedlich zu den menschlichen waren wie noch in keinem Science Fiction-Film dargestellt.
Irgendwann war der Prozess abgeschlossen. Dann sagte er:
“Ich sterbe.”
Ich starrte ihn an.
“Ich habe dich hergelockt, weil du ein guter Kerl bist.”
Ich starrte ihn weiter an, fand aber die Kraft mich zu bücken und dann neben ihn zu hocken. Er griff meine Hand.
“Hier”, sagte er und steckte mir einen Ring an, “nimm dies. Es ist Fluch und Geschenk zugleich.”
Noch immer konnte ich keine Worte hervorbringen.
“Dieser Ring wird dir alles weitere erklären. Tue Gutes, dann wirst du…”
Und mit diesen Worten starb das arme Wesen in meinen Armen. Ich weinte eine verwirrte Träne. Dann begrub ich ihn in einer mit Erde gefüllten Badewanne, die auch in diesem Hinterhof stand. Ich begutachtete sein kleines Raumschiff, das völlig zerstört war und, so entschied ich, in dieser Umgebung nicht weiter auffallen würde.
Dann setzte ich den Ring auf.