Olga Pawlow (??????) – genannt die Sabbernde Hündin, aber nicht abfällig – wurde in 1965 südlich von Moskau (??????´) geboren, als vierzehntes Kind arbeitsloser Eltern (offiziell hatten sie Arbeit: die Mutter, Galina, war Dreherin in einer von ihrem Geburtsort vier Kilometer entfernten Fabrik, allerdings hatte sie diese nie zu Gesicht bekommen, sie war praktisch noch nie in der Nähe dieser Fabrik gewesen, außer einen Tag nach ihrer Hochzeit, als sie ihren Mann gesucht hatte, der sich – in diesem Punkt war die Sowjetunion schon damals so modern wie das Westeuropa des 21. Jahrhunderts – aufgrund einer tief sitzenden Angst vor Nähe unmittelbar nach dem Ja-Wort – ?? sagte man im Original – aus dem Staub gemacht hatte; sie fand ihn volltrunken in der einzigen Gaststätte in einem Umkreis von 200 Kilometern [in der Tat hatte er seine Flucht nicht sonderlich intelligent geplant]; ihre Hochzeitsnacht, so erkannte sie schnell, war ein Griff in die Jauchegrube; so wollte sie es aber nicht, sie hatte Sehnsucht nach Liebe, und wenn es schon keine Liebe gab [letztlich gibt es damals nur Egoismus], sollte es wenigstens ein Ersatz sein [in Sachen Ersatz war man in der UdSSR so professionell wie sonst nirgendwo], also suchte sie und fand einen Mann; dieser sah aus wie Omar Sharif und kopulierte auch so, war aber ein Russe; beide schliefen nach dem Sex ein, ihr Kopulator wachte jedoch zuerst auf und verschwand [sie hat ihn nie wiedergesehen, außer einmal auf den Filmfestspielen von Venedig 2007, wo er als Double Faxen vor zweitklassigen Kinos machte und sie eine berühmte B-Movie-Stuntfrau war]; sie aber wachte immerhin kurz vor ihrem Gatten auf und jubelte ihm das Kind unter, indem sie behauptete, es sei in dieser Nacht etwas gelaufen; sie zog diese Nummer noch dreizehn weitere Male durch, wobei sie sich jeweils einen/es jeweils einem anderen Mann besorgte, immer aus einem anderen Land, sogar Chinesen, Schwarze und Neufundländer waren dabei; ihrem Gatten aber fiel nie etwas auf [oder es war ihm egal, so wie den meisten seiner Mitmenschen schon damals das meiste egal war]; im Falle von Olga war der Vater ein österreichischer Geschäftsmann, der den ersten SU-Shop in Wien aufmachen wollte und auf der Suche nach russischen Produkten dieses große Land bereist hat, aber keine finden konnte; Olga ist inmitten einer bunten genetischen Gemengelage aufgewachsen, sie konnte es sich nie anders vorstellen und hörte nie auf, sich über die kaum der Rede werte genetische Rekombinationsvarianz innerhalb der Nachbarfamilien der Kolchose zu echauffieren – eine billige Masche). Als solches hatte sie kaum eine Chance auf einen Vorschulplatz (von der Schule, der Partei, einem Ausbildungsplatz gar braucht man gar nicht reden. so müßig ist das). Für dreizehn Kinder vor ihr musste bestochen, gebettelt, verführt werden, und danach war die Kraft der Mutter (der „Vater“ hat niemals, nicht ein einziges Mal, auch nur irgend einen Finger für die Familie krumm gemacht, trotzdem liebte ihn Olga abgöttisch) aufgebraucht: es war einfach nichts mehr da für die kleine Olga, die doch so hübsch und gutmütig war.
Immer saß sie auf ihrem Baumstumpf (für einen Stuhl war kein Geld da) und dachte nach. Sie war – was leider, leider keiner menschlichen Seele jemals aufgefallen ist – in etwa doppelt so begabt wie Johann Sebastian Bach (und an dieser Stelle ist nicht der Namensvetter des berühmten Musikers gemeint, sondern ebenderselbe); denn leider leider hatte sie während der ganzen ersten 26 Jahre ihres Lebens weder Zugang zu einem Musikinstrument noch zu einem Wiedergabegerät (die gab es in der Union nur für die allerobersten Klassen), noch hatte sie jemals Musik gehört, mit Ausnahme sozialistischer Propangandalieder mit ihrer primitiven Harmonik und anmaßenden Melodieführung (nur die Texte gefielen ihr). Wie viele Genies sind den mangelnden Möglichkeiten zum Opfer gefallen, hatte ihre Großmutter immer lamentiert (die damit allerdings sich selbst und ihre Häkelkünste meinte).
Das Ergebnis ihre Nachdenkens war, dass sie fortgehen musste; ein Entschluss, den sie noch in derselben Stunde in die Tat umsetzte. Ohne sich zu verabschieden (aufgrund der schieren Menge an Nachfahren konnte sich die Mutter ohnehin nicht an jedes Kind erinnern, sodass Olgas Verschwinden erst zu Weihnachten auffiel, als eines der Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen blieb). Per Eselskarrenstop fuhr sie fast bis nach Moskau, aber der Karren brach außerhalb der Stadt zusammen, und es gab keinen Allgemeinen Eselskarrenclub. Also stieg sie in einen zufällig vorbeikommenden, verirrten Reisebus, der eine Pause machte, und gab sich als Fremdenführerin aus, deren Zusteigen Teil eines umfassenden Plans war. In dieser Vorstellung war sie, von einer seltsamen und bis heute nicht erklärten, nicht einmal erklärbaren, Kraft getrieben, seltsam überzeugend, auch wenn sie keine Sprache außer der ihres Heimatdorfes sprach, das ein reduziertes Russisch war und im selben Verhältnis zu echtem Russisch stand wie Esperanto zu Spanisch. Irgendwann flog es aber doch auf, und Olga musste aussteigen. Ein mitreisendes Fotomodell aus Liechtenstein, das Mitleid verspürte, organisierte noch schnell einen Job für die ansonsten mittellose Flüchtige: in einer Militärkaserne musste sie die Schwämmeauswringerin, die die Schwämme für die Geschirrspülerinnen auswringen, unterstützen, aber schon nach wenigen Jahren war sie aufgestiegen.
Irgendwann bewarb sie sich dann in einem richtigen Hotel und wurde genommen.